Klinik für Neurologie
Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
Schwäche und zuckende Muskeln
Fallbeispiel: Der 58-jährige Herr Franz wird aufgrund einer zunehmenden Muskelschwäche seit einem Jahr von seinem Hausarzt geschickt. Zunächst sei der Ehefrau eine kloßige Sprache aufgefallen und bei seiner Lieblingsspeise, der Griesnockerlsuppe, würde er sich ständig verschlucken und müsse furchtbar husten. Er sei sonst immer gesund gewesen, habe in den letzten Monaten aber selbst bemerkt, dass vor allem die Muskeln an den Händen verschmächtigt seien und ihm schon mehrfach Dinge aus den Händen geglitten seien. An den Armen und Beinen seien ihm in Ruhe Muskelzuckungen aufgefallen, die er nicht beeinflussen könne und die sich wie ein Sack voller Würmer anfühlen würden.
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine seltene Erkrankung. Etwa neun von 100.000 Einwohnern erkrankt daran. Das Durchschnittsalter der Betroffenen liegt bei circa 60 Jahren. Männer sind häufiger als Frauen betroffen (Verhältnis 2:1).
Der französischen Neurologe Jean-Martin Charcot beschrieb bereits im 19.Jahrhundert die Erkrankung an seiner Wirkungsstätte, dem weltbekannten Nervenkrankenhaus, der Salpêtrière, in Paris.
Bei der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) gehen Nervenzellen zugrunde, die sogenannten Motoneurone. Diese vermitteln elektrische Impulse, um Muskeln zu steuern. Kommt es zu einem Ausfall dieser Nervenzellen, treten an den Muskeln Schwäche, Zittern, Krämpfe und Muskelabbau auf.
Erstes und zweites Motoneuron
Die Erkrankung führt zum Untergang der Bewegungsnerven, der sogenannte Motoneurone. Die Informationskette vom Gehirn bis zum Muskel, um Bewegungen zu steuern, besteht aus zwei Motoneuronen.
Erstes Motoneuron
Das erste Motoneuron leitet die elektrischen Impulse von der Hirnrinde bis ans Rückenmark. Ist das erste Motoneuron geschädigt, entsteht eine erhöhte Muskelspannung und verstärkte Muskelreflexe. Es treten Lähmungen mit erhöhter Muskelspannung auf (einer sogenannten Spastik).
Zweites Motoneuron
Das zweite Motoneuron stellt die Verbindung vom Rückenmark zu den einzelnen Muskeln her. Diese Faser baut durch seine Aktivität Muskelspannung auf. Wird diese von der Erkrankung erfasst, erschlafft die Muskulatur. Schlaffe Lähmungen, Muskelabbau, schmerzhafte Muskelkrämpfe und markantes Muskelzittern sind die Folge.
Ursachen
Die Ursache der Amyotrophen Lateralsklerose ist nicht bekannt. Es werden verschiedene Krankheitsmechanismen des Zelluntergangs diskutiert, bei denen der Nervenbotenstoff Glutamat und in der Zelle befindliches Calcium eine wichtige Rolle spielen. 90 Prozent der Erkrankungen treten sporadisch auf, bei den übrigen 10 Prozent findet sich ein familiärer Hintergrund.
Beschwerden
Die Amyotrophe Lateralsklerose verläuft von Patient zu Patient sehr unterschiedlich. Es handelt sich um eine ernsthafte Erkrankung, deren langsames Fortschreiten derzeit durch Medikamente nur wenig gebremst werden kann. Sie kann jeden Muskel des Körpers betreffen.
Die Krankheit beginnt oft an den Händen und Armen. Hier fallen zuerst Muskelverschmächtigungen und Muskelzucken auf. Feinmotorischen Anwendungen wie Schreiben oder nach Gegenständen Greifen, aber auch die grobe Kraftanwendung beim Tragen von Gegenständen fallen schwer. Seltener sind zunächst die Beine von Muskelschwund betroffen.
Im Verlauf werden andere Körperregionen miteinbezogen. Auch die Atemmuskulatur erkrankt im Verlauf.
In anderen Fällen beginnt die Erkrankung mit Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlucken. Es stellt sich eine kloßige Sprache ein (sogenannte bulbäre Sprache). In circa 5 Prozent der Erkrankungen besteht ein Zusammenhang mit einer frontotemporalen Demenz.
Die ALS betrifft nur das Bewegungssystem des Körpers, andere neurologische Beschwerden wie eine Beeinträchtigung des Bewusstseins, Gefühlsstörungen o der eine Beeinträchtigung von Blasen- und Darmtätigkeit treten klassischerweise nicht auf.
Diagnostik
Die Erkrankung lässt sich anhand der Krankengeschichte und der klinisch-neurologischen Untersuchung feststellen. Mit der Untersuchung lassen sich die typischen klinischen Zeichen für eine Schädigung des ersten und des zweiten Motoneurons erfassen.
Allerdings gilt es auch durch eine umfassende Diagnostik mit Blutentnahme, eventuell einer Nervenwasseruntersuchung, einer Bildgebung (Kernspintomographie von Gehirn und Rückenmark) und durch umfangreiche elektrophysiologische Maßnahmen (Neurographie und Elektromyographie) andere Ursachen für Muskelschwund, Zittern und Kraftlosigkeit auszuschließen.
Therapie
Es gibt aktuell keine Therapie, die eine Amyotrophe Lateralsklerose zum Stillstand bringt. Es kann jedoch das Medikament Riluzol in Tablettenform (2x50mg) eingesetzt werden, das den Nervenabbau etwas abbremsen kann.
Der Fokus der Behandlung einer ALS liegt auf der Linderung von Beschwerden. Uns ist es dabei sehr wichtig, den Patienten bei Diagnosestellung und im weiteren Verlauf nicht nur fachmännisch, sondern auch menschlich zu begleiten. Die Lebensqualität und der Erhalt der Selbstbestimmung stehen im Vordergrund. Hierbei wirkt ein ganzes Team aus LogopädInnen, Ergo-und PhysiotherapeutInnen und medizinischem Personal aus dem Pflegebereich mit. Technische Hilfsmittel können den Alltag erleichtern. Betroffene nutzen beispielswiese spezielle Computer, um zu kommunizieren.
Rechtzeitig müssen im Verlauf Themen wie die Schluck- und Atemstörung sowie Probleme bei der Nahrungsaufnahme thematisiert werden. Inwiefern ein Patient Unterstützung durch eine künstliche Ernährung (PEG-Sonde) und atemunterstützende Maßnahmen (bis hin zur Heimbeatmung) bei fortgeschrittenem Krankheitsverlauf möchte, muss sensibel diskutiert und miteinander abgestimmt werden.