Klinik für Neurologie
Migräne
Angst vor einem Schlaganfall
Fallbeispiel: Die 24-jährige Maria sitzt viel zu lange vor ihrem Computerbildschirm. Plötzlich bemerkt sie, dass sie die rechte Bildschirmhälfte nur noch verschwommen wahrnimmt. Im Gesichtsfeld tauchen Lichtblitze und ein ständiges Flimmern auf. Es wird ihr leicht übel und das grelle Zimmerlicht und Geräusche aus dem Nebenraum werden unerträglich. Kurz darauf stellen sich pochend- pulsierende Schmerzen an der linken Schläfe ein. Als sie ihren Freund rufen möchte, bringt sie nicht die richtigen Worte heraus. Sie bekommt es ganz schön mit der Angst zu tun.
Kopfschmerzen sind nicht das einzige Merkmal einer Migräne. Besonders junge Menschen, die zum ersten Mal eine Migräneattacke mit Begleiterscheinungen, einer sogenannten Aura, erleiden, wissen nicht, wie ihnen geschieht. Sie haben dann häufig Angst, an einem Hirntumor oder an einem Schlaganfall zu leiden. Aber auch ein erstmaliger klassischer Migräneanfall mit heftigen Schmerzen ohne neurologische Symptome kann stark verunsichern.
Es werden in der Neurologie weit mehr als 250 Arten von Kopfschmerz unterschieden. Migräne ist nur eine der häufigsten Kopfschmerzformen. Weitere bekannte Kopfschmerzarten sind beispielsweise der Spannungskopfschmerz, der Clusterkopfschmerz, der medikamenteninduzierte Dauerkopfschmerz, die Hemikranie, die Sinusthrombose oder die Subarachnoidalblutung.
Migräne ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen
Migräne bedeutet das periodische Auftreten von Kopfschmerzattacken, die mit sogenannten autonomen Begleiterscheinungen wie Appetitlosigkeit, Übelkeit, Licht- und Lärmempfindlichkeit einhergehen. Circa 15 Prozent haben im Rahmen einer Attacke weitergehende neurologische Ausfälle, die an die Beschwerden wie bei einem Schlaganfall denken lassen. Diese Beschwerden werden als Aura bezeichnet und gehen oft den Kopfschmerzen voraus.
Erst nach fünfmaligem Auftreten gleich gearteter Kopfschmerzattacken kann von einer Migräne gesprochen werden.
Ungefähr dreizehn Prozent der Frauen und sieben Prozent der Männer kennen Migräneattacken. Meist tritt eine Migräne um das 35. bis 45. Lebensjahr auf. Bereits Schulkinder können jedoch an einer Migräne leiden. Es gibt eine familiäre Häufung der Migräne, genetische Faktoren spielen eine gewichtige Rolle.
Schmerzentstehung bei Migräne
Eine Migräne entsteht auf dem Boden einer erblichen Veranlagung, die die elektrische Stabilität der einzelnen Nervenzellen (Aufbau der neuronalen Ionenkanäle) im Gehirn bestimmt.
Schmerzsysteme im Hirnstamm sind phasenweise enthemmt und aktivieren autonome Nervenfasern, die die Blutgefäße der Hirnhaut (Dura mater) versorgen. Gefäße werden weitgestellt und Fasern des Empfindungsnerven (Nervus trigeminus) sensibilisiert, so dass das Pulsieren der Arterien schmerzhaft wahrgenommen wird. Es kommt zusätzlich zur Ausschüttung von Botenstoffen.
Folgende Faktoren können eine Migräne auslösen
- Plötzlicher Stress
- Überanstrengung
- Veränderungen der Tagesrhythmik
- Hormonelle Veränderungen
- Aussetzen von Mahlzeiten
Arten von Migräne
Migräne mit Aura
Eine Aura entsteht als Übererregbarkeit der Hirnrinde (sogenannte cortical spreading depression), die sich langsam auf der Hirnoberfläche ausbreitet. Je nach betroffener Hirnregion kann es zu Flimmersehen (Skotome), Gesichtsfeldausfällen, Kribbeln und anderen Missempfindungen bis hin zu einer Sprachstörung oder einer Halbseitenlähmung kommen. Diese Ausfälle entstehen meist innerhalb von 20 Minuten und halten nur selten länger als eine Stunde an. Sie gehen in der Regel den Kopfschmerzen und den autonomen Begleiterscheinungen voraus. Gelegentlich kann nur eine Aura ohne Kopfschmerzen ablaufen.
Der holländische Maler und Migränepatient Vincent van Gogh soll in seinem Bild „Sternennacht“ bei der Gestaltung des „wabernden“ Himmels dargestellt haben, welche Sehveränderungen bei einer Aura auftreten können.
Eine weitere Sonderform der Migräne stellt die retinale Migräne dar, die nur an der Augennetzhaut abläuft und zu einer kurzzeitigen, einseitigen Sehstörung bis hin zur kurzzeitigen Erblindung führen kann, ohne dass weitere Beschwerden auftreten.
Migräne ohne Aura
Der Kopfschmerz tritt bei 60 Prozent der Betroffenen streng einseitig auf und hält zwischen vier und 72 Stunden an. Während einer Attacke kann der Schmerz die Seite wechseln. Patienten beschreiben die Schmerzen zunächst als dumpf beginnend und dann von heftigem, pulsierend-pochendem Charakter. Körperliche Aktivität verstärkt die Schmerzen.
Diagnostik
Die Migräne wird als Diagnose gestellt, wenn gründlich die Krankengeschichte und die klinische Untersuchung erhoben wurden. Informationen wie eine Migräneerkrankung in der Familie oder selbst festgestellte, auslösende Faktoren können weiterhelfen. Ein spezieller Test zum positiven Nachweis existiert nicht.
Zusatzuntersuchungen wie Bildgebung (Kernspintomographie) oder ein Elektroencephalogramm (EEG) helfen, andere Ursachen von Kopfschmerz auszuschließen. Eine Kernspintomographie sollte in jedem Fall bei Migräne durchgeführt werden, wenn diese erstmals nach dem 40.Lebensjahr auftritt, sich die Attacken deutlich häufen oder der Charakter der Kopfschmerzen sich deutlich verändert hat. Eine Blutuntersuchung oder eine Nervenwasseranalyse sind bei der Erstabklärung sinnvoll, wenn eine Thrombose, eine Entzündung oder eine andere Stoffwechselstörung als Ursache vermutet wird.
Komplikationen
Migräneattacken können sich sehr oft einstellen. Treten diese an mehr als 15 Tagen pro Monat auf, wird von einer chronischen Migräne gesprochen und es sind prophylaktische Allgemeinmaßnahmen und die Einnahme einer prophylaktischen Medikation angezeigt. Ein Status migränosus liegt dann vor, wenn eine Migräneattacke länger als 72 Stunden anhält. Hier ist die Gabe von Aspirin über die Vene oder von Kortison (Kortikoiden) notwendig, um den Schmerz zu durchbrechen. Gefährlich ist bei einer Schmerzhäufung auch, dass zu viele Schmerzmittel eingenommen werden und diese dann selbst einen Dauerkopfschmerz, den sogenannten medikamenteninduzierten Kopfschmerz auslösen.
Behandlung und Prophylaxe
Behandlung akuter Migräneattacken
Schmerzmittel (nicht –steroidale Antirheumatika, NSAR) wie die frei verkäufliche Substanzen Aspirin (Acetylsalicylsäure), Ibuprofen, Paracetamol oder Diclofenac, helfen in der Schmerzattacke und sind bei mittelschweren Attacken sicherlich die richtige Wahl. Gelöste Substanzen wirken generell stärker. Es gibt keine wesentlichen Unterschiede in der Wirksamkeit der einzelnen Substanzen. Jeder Patient macht selbst seine Erfahrungen mit der Einnahme und der bei ihm vorliegenden individuellen Wirksamkeit. Spezifisch für den Migränekopfschmerz vorliegende Substanzen sind die sogenannten Triptane, die als Tabletten, Nasenspray oder in Spritzenform zur Verfügung stehen. Triptane können bei früher Anwendung besser zu einer Schmerzfreiheit führen als die NSAR. Triptane helfen auch gegen die autonomen Begleiterscheinungen. Der richtige Zeitpunkt der Einnahme von Triptanen ist allerdings unbedingt zu beachten. Werden sie zu früh eingenommen, während einer Aura, sind sie nicht wirksam und können gar über eine zusätzliche Gefäßverengung zur Entstehung von Schlaganfällen beitragen. Werden sie zu spät eingenommen, verfehlen sie ebenfalls ihre Wirksamkeit. Triptane dürfen nicht verwendet werden, wenn der Patient an Gefäßerkrankungen leidet. In seltenen Fällen kann es als Nebenwirkung zu Herzinfarkten oder Schlaganfällen kommen. Außer der Einnahme von Schmerzmitteln können auch Medikamente gegen eine entstehende Übelkeit eingenommen werden.
Prophylaxe
Eine Prophylaxe kann die Migräne nicht heilen und muss mindestens über drei Monate erfolgen, um die Wirksamkeit beurteilen zu können. Eine Prophylaxe ist dann wirksam, wenn sie die Häufigkeit der Kopfschmerzen halbieren kann. Um Migräneattacken effektiv zu vermeiden, ist es wichtig, seinen Kopfschmerz gut kennenzulernen, mögliche auslösende Faktoren ausfindig zu machen und diese zu vermeiden. Hierzu können Nahrungsmittel wie Alkohol, Weglassen von regelmäßigem Koffeinkonsum oder bestimmte Medikamente gehören. Diese Auslöser dürfen aber nicht überinterpretiert werden. Wichtig ist hier nicht nur die Menge, sondern auch der Zeitpunkt der Einnahme. Sollte es gehäuft zu Migräneattacken komme, ist es unbedingt notwendig, sich von einem Neurologen beraten und behandeln zu lassen. Diesem hilft es ungemein, wenn sie einen Kopfschmerzkalender führen, in dem Sie eintragen, wie oft, in welcher Qualität und in welcher Situation die Beschwerden auftreten. So kann Ihnen ihr Neurologe besser helfen, Situationen mit Kopfschmerz zu vermeiden und Ihnen zu einem geeigneten Akutpräparat und einem Medikament als Prophylaxe raten.
Zur Prophylaxe werden Medikamente wie beta-Blocker oder Calciumantagonisten verschrieben, also Medikamente, die sonst bei der Behandlung des Bluthochdruckes zum Einsatz kommen. Oft ist die Einnahme über sechs bis zwölf Monate notwendig, bevor man wieder über ein Absetzen dieser Prophylaxe nachdenken kann. Individuell muss das richtige Medikament ausgetestet werden. In schwierigen Fällen kann eine Prophylaxe mit Antikonvulsiva in geringer Dosierung helfen. Nicht nur Medikamente, sondern auch Ausdauersportarten wie Schwimmen oder Joggen beugen Kopfschmerzen vor. Entspannungsverfahren, wie zum Beispiel die progressive Muskelentspannung nach Jakobson sind ebenfalls hilfreich. Sollte kein Medikament und keine Allgemeinmaßnahme die Häufigkeit der Schmerzattacken vermindern, ist die Diagnose erneut zu überprüfen.