Klinik für Neurologie

Schwindel

Karussell im Kopf

Fallbeispiel: die 54jährige Frau Bartsch wird in den Morgenstunden wach von plötzlichem, heftigem Drehschwindel. Sie hatte sich gerade im neu gekauften Boxspring-Bett noch einmal umgedreht. Es überkommt sie eine übermächtige Übelkeit. Beim Versuch zur Toilette zu gelangen kann sie sich kaum auf den Beinen halten und bemerkt einen starken Rechtsdrall. Von ihrem Ehemann begleitet kann sie kaum den Weg zum Arzt antreten, da jede Bewegung den extremen Schwindel wieder hervorruft. Sie bemüht sich den Kopf ruhig zu halten. Eine körperliche Untersuchung beim Arzt ist nur schwer möglich, da sie bei Lagewechsel erneut heftiger Schwindel überkommt und sie nur mit zugekniffenen Augen mitwirken kann.

Frau Bartsch ist an der häufigsten neurologischen Ursache eines Schwindels erkrankt: dem gutartigen Lagerungsschwindel (benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel). Auch wenn er das Wort gutartig im Namen trägt und wieder folgenlos abheilt, sind seine Beschwerden mehr als unangenehm.

Die Diagnose lässt sich leicht bei Frau Bartsch durch eine gute Anamneseerhebung und eine klinisch-neurologische Untersuchung mit spezieller Überprüfung des Gleichgewichtsorgans stellen. Oft ist es aber nicht ganz so einfach, aus der Schilderung der Beschwerden die richtige Diagnose abzuleiten.

Schwindel ist ein sehr häufiges Symptom. Jeder zehnte Patient klagt beim Hausarzt über Schwindel.

Schwindel ist ein sehr häufiges Symptom, das bei den unterschiedlichsten neurologischen Erkrankungen mitauftreten kann: Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, Schlaganfall, Tumorerkrankungen oder der Migräne.

Schwindel ist jedoch nicht gleich Schwindel. Im englischen Sprachraum wird hier zwischen „vertigo“ und „dizziness“ unterschieden. Die im Deutschen doch sehr ungenaue Beschreibung versuchen Mediziner in systematischen und unsystematischen Schwindel zu unterteilen.

Mit unsystematisch (Benommenheitsschwindel), sind beispielsweise gemeint: Kreislaufbeschwerden und Erkrankungen von weiteren Sinnesorganen wie den Augen oder des Tast- und Tiefensinns (zum Beispiel bei der Polyneuropathie oder Rückenmarksschädigung).

Systematische Schwindelformen hingegen haben ihren Ursprung am Gleichgewichts- und Hörorgang oder weiteren Hirnstrukturen wie dem Hirnstamm oder dem Kleinhirn. Hier kann das Schwindelerlebnis präziser beschrieben werden als: Schwankschwindel, Drehschwindel, Liftschwindel. Auch kann das Auftreten entweder als Attacke oder anhaltend, eventuell auch mit einer ausgeprägten Fallneigung berichtet werden.

Andere Schwindelformen treten nur in bestimmten Situationen auf oder lassen sich auf einen bestimmten Auslöser zurückführen (Höhenschwindel, Reisekrankheit).

Häufige neurologische Schwindelursachen

Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel

Die häufigste Schwindelursache tritt in höherem Alter zunehmend auf. Etwa ein Drittel aller über 70jährigen hat ihn ein- oder gar mehrfach bereits erlebt. Frauen sind etwas häufiger betroffen.

Beschwerden

Charakteristisch sind Drehschwindelattacken, die meist nicht länger als eine Minute anhalten und die bei Lageänderung auftreten. Etwa im Bett oder auch nur bei rascher Änderung der Kopfposition(Bücken, Aufrichten, Herumdrehen). Der Drehschwindel baut sich in seiner Intensität auf und ebbt dann langsam in Ruhe wieder ab (crescendo-decrescendo-Charakter). In der Attacke können neben einer Gangunsicherheit mit Fallneigung, ein starker Brechreiz und eine Sehstörung (Oszillopsien) auftreten. Bei letzterer wird die Umgebung nur noch verwackelt wahrgenommen. Als ob man das ganze Leben durch eine schlecht fixierte Super-8-Kamera betrachten müsste.

Ursache

Die Drehschwindelattacken werden durch frei bewegliche Partikel in den Lymphgängen des Gleichgewichtsorgans des Innenohres ausgelöst (Kanalolithiasis). Diese setzen sich durch eine Lageänderung in Bewegung und irritieren das Sinnesepithel, das die Bogengänge auskleidet. In fast 90 Prozent ist der hintere Bogengang betroffen.

Diagnostik

Nicht nur die Anamnese gibt Aufschluss. Durch bestimmte Lagerungsproben kann der Schwindel ausgelöst und dadurch die Diagnose gesichert werden. Es lässt sich durch unterschiedliche Lagerungsproben der erkrankte Bogengang sicher bestimmen.

Unter einer Lagerungsprobe versteht man folgendes: der Patient wird rasch bei geöffneten Augen und einer um 45 Grad zur Seite gedrehten Kopfhaltung von einer sitzenden in eine liegende Position gebracht (Manöver nach Epley oder Sémont) Hierdurch werden die Konglomerate in Bewegung gesetzt, der Drehschwindel setzt ein und die Augen vollführen unwillkürliche Bewegungen (Nystagmus).

Die weiteren neurologischen Befunde inklusive der Prüfung des Hörvermögens sind unauffällig. 

Therapie

Der Lagerungsschwindel ist gut heilbar durch die Anwendung der Lagerungsproben, diese werden durch weitere Lagerungsschritte ergänzt und führen so zu einem Befreiungsmanöver. Durch eine Bewegung des Lymphbogens um insgesamt 360 Grad soll erreicht werden, dass die im Bogengang des Gleichgewichtsorgans befindlichen Partikel aus diesem ausgeschwemmt werden. Ist der Bogengang erst einmal von allen Partikeln befreit, bestehen keine Beschwerden mehr. Hierfür müssen die Befreiungsmanöver manchmal mehrfach wiederholt werden.

Neuritis (Neuronitis) vestibularis (akuter einseitiger Vestibularisausfall)

Der typische Patient mit diesem Krankheitsbild ist zwischen 30 und 60 Jahre alt und bemerkt meist einige Tage zuvor bereits leichte Drehschwindelattacken. Dann tritt das schwere Krankheitsgefühl ein, das über ein bis zwei Wochen wieder langsam abklingt. Eine subjektiv wahrgenommene Beschwerdefreiheit stellt sich meist nach drei bis fünf Wochen ein. Vollständig genesen etwa 50 Prozent der Patienten. Es erkranken etwa 3,5 Menschen pro 100.000 pro Jahr.

Beschwerden

Bei der Neuritis vestibularis fällt meist einseitig das Gleichgewichtsorgan des Innenohres aus. Durch den Ausfall eines Gleichgewichtsorgans kommt es zu einer Balancestörung.

Der Patient erleidet einen über Tage anhaltenden heftigen Dauerdrehschwindel, einer Fallneigung zur erkrankten Seite(Rumpfataxie), einer Koordinationsstörung (Vorbeizeigen in den Finger-Nase-Versuchen), Erbrechen und Scheinbewegungen (Oszillopsien). Der Untersucher kann als Ursache der Oszillopsien einen anhaltenden spontanen Nystagmus (horizontal, rotatorisch) zur gesunden Seite feststellen.

Ursache

Der Grund für den einseitigen Organausfall ist überwiegend eine Entzündung. Selten kann auch ein Trauma oder eine Durchblutungsstörung dahinterstecken. Es wird angenommen, dass wie bei der Lähmung des Gesichtsmuskelnervens (Nervus facialis, „idiopathische Facialislähmung“) ein Virus die Entzündung hervorruft. Zumindest ließen sich bisher bei Autopsien hierfür Hinweise finden und teilweise gelang der Nachweis von Herpes-simplex-Virus-Typ 1-DNA.

Diagnostik

Auch bei dieser Form des Schwindels steht die Erhebung der Krankengeschichte und eine gründliche klinische Untersuchung im Vordergrund. Es sollte an andere Schwindelformen und an das Vorliegen einer Hörstörung gedacht und diese klinisch ausgeschlossen werden. Besteht Unsicherheit, kann die Diagnose durch eine kalorische Prüfung (Spülen des Ohrs mit kalter und warmer Flüssigkeit) als Erregbarkeitsprüfung des Gleichgewichtsorgans gefestigt werden.

Therapie

Die Behandlung der akuten Neuritis vestibularis besteht aus 3 Ansätzen:

  1. Therapie der Beschwerden
    In der Akutphase können Beschwerden wie Übelkeit/Erbrechen und Schwindel durch Medikamente (Antivertiginosa) gelindert werden.
  2. Therapie der Ursache
    Studien aus den 1990er Jahren zeigten eine Besserung des „akuten Schwindels" im Verlauf unter einer kurzzeitigen Behandlung mit Kortisontabletten (Glukokortikoide, zum Beispiel Methylprednisolon, mit 100mg oral pro Tag beginnen, Dosis dann jeden vierten Tag um 20 mg verringern). Im Schnitt konnte bei den Patienten eine deutlich verbesserte Erholung des Gleichgewichtsorgans festgestellt werden.
  3. Verbesserung der „zentralen vestibulären Kompensation“
    Hinter dem Schlagwort verbirgt sich ein stufenförmiges physikalisches Training. Es ist frei umgangssprachlich übersetzt der Ausgleich des Gleichgewichts durch Gehirnfunktionen gemeint.
    Unter Anleitung von PhysiotherapeutInnen werden Patienten zu  anfänglich statischen, dann vor allem dynamischen Übungen angeleitet. Es wird die Gleichgewichts- und Standregulation und die Blickstabilisation beübt. Es ist wichtig ist, dass die Gleichgewichts- und Balanceübungen langsam gesteigert werden.

Morbus Menière (Menière Krankheit)

Der Morbus Menière ist eine seltene Erkrankung des Innenohres, die meist zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auftritt. Sie ist nach ihrem Erstbeschreiber, dem französischen Neurologen Prosper Menière (1799-1862), benannt, der am Hôtel Dieu Krankenhaus in Paris schräg gegenüber der Notre-Dame Kathedrale arbeitete und eng mit Victor Hugo und Honoré de Balzac befreundet war. Der weltberühmte Pariser Neurologe Jean Marie Charcot machte 1874 die Erkrankung als eine Trias aus drei Kernbeschwerden bekannt.

Beschwerden

Es kommt zu heftigen Drehschwindelattacken, für Minuten, manchmal auch für wenige Stunden, meist verbunden mit einer einseitigen Hörstörung. Hier kann ein Rauschen, Sausen oder ein Tinnitus auftreten. Es tritt auch eine Schwerhörigkeit und ein Druckgefühl auf, meist auf dem Ohr, dass die Geräusche auslöst. In der Attacke kann der Patient Übelkeit, Erbrechen, starke Schweißausbrüche und Angstgefühle erleben.

In der Attacke tritt für den Untersucher feststellbar ein horizontaler Nystagmus (rhythmisch, unkontrollierbare Augenbewegung) zur nicht betroffenen Seite auf.

Ursache

Diese ist nicht genau bekannt. Man geht davon aus, dass eine Störung des Flüssigkeitshaushaltes im Innenohr vorliegt (Ausbildung eines Hydrops endolymphaticus).

Diagnostik

Entscheidend ist die Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese), Mit Hilfe eines Schwindelkalenders (Eintragung von Häufigkeit, Stärke, Dauer und Begleitbeschwerden der Attacken) kann das Krankheitsbild besser eingeschätzt und die richtige Therapie gewählt werden.

Therapie

In der Attacke können die Beschwerden durch Medikamente gelindert werden (Sedativa, Antivertiginosa). Zur Prophylaxe werden derzeit  über 12 Monate hochdosiert Medikamente verschrieben, die die Durchblutung am Gleichgewichtsorgan fördern sollen (Betahistin). Bei sehr schweren Verläufen muss daran gedacht werden, dauerhaft ein Gleichgewichtsorgan auszuschalten. Dies kann mit Medikamenten (Gentamicin) oder durch operative Maßnahmen erreicht werden.

Phobischer Schwankschwindel

Dieser Erkrankung liegt keine organische Ursache zugrunde. Es ist oft die zweihäufigste Schwindelform in neurologischen Spezialambulanzen und betrifft Menschen zwischen 20 und 60 Jahren. Manchmal stellt sich diese Erkrankung auch nach einem ausgeheilten benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel oder einer Neuritis vestibularis ein.

Beschwerden

Der phobische Schwankschwindel ist eine genauso ernsthafte Erkrankung wie die Schwindelformen mit organischem Hintergrund. Typisch sind Beschwerden wie subjektive Stand- und Gangunsicherheit, teilweise mit attackenartiger Verschlechterung. Hierfür kann es Auslöser geben (z.B. beim Autofahren, in leeren Räumen bei Menschenansammlungen), manchmal scheint dies spontan aufzutreten. Verbunden ist der Schwindel mit einer ausgeprägten Angst zu stürzen, obwohl dies in der Regel nicht geschieht.

Ursache

Der phobischen Schwankschwindel hat nichts mit einer Depression zu tun, bei der auch Schwindelerlebnisse auftreten können. Der phobischen Schwankschwindel gehört in den Formenkreis der Angststörungen (Phobien), zu dem auch beispielsweise die Platzangst (Agoraphobie), Panikstörungen oder das mal-de-débarquement-Syndrom gehören. Letzteres hat man wahrscheinlich schon selbst erlebt. Es wird bei Menschen nach einer Seereise beobachtet. Sobald sie wieder festen Boden unter den Füssen spüren geraten sie trotzdem ins Schwanken und können sich nur schwer auf den Beinen halten und nur torkelnd gehen.

Diagnostik

Wichtig ist es zuzuhören und die Egienheiten wie die Auslöser dieses Schwindels zu erkennen. Wichtig ist es zunächst auch, sicher zu gehen, dass ein neurologischer Normalbefund in der Untersuchung mit unauffälligen Gleichgewichtstests vorliegt.

Therapie

Oft ist es für den Patienten schon sehr entlastend zu wissen nicht organisch erkrankt zu sein. Medikamente können in Form von Stimmungsstabilisatoren unterstützend bei der Überwindung des phobischen Schwankschwindels sein. Es entsteht oft ein Teufelskreis mit einem Vermeidungsverhalten. Manche Menschen verlassen aus Angst vor dem Schwindel überhaupt nicht mehr ihre vertraute Umgebung. Dies gilt es unbedingt zu vermeiden. Entscheidend für den Behandlungserfolg ist ein ausführliches Gespräch darüber, wie der Schwindel entsteht und wie man sich gezielt und langsam aufbauend  bestimmten Situation n stellen kann, um vor allem die Angst und dann auch das Schwindelgefühl wieder zu verlieren.

Diese verhaltenstherapeutischen Technik nennt man Expositionbehandlung und wurde bereits von Johann Wolfgang von Goethe in Eigenregie praktiziert. Der Dichterfürst litt zeitlebens an Ängsten und Depressionen. Er bestieg, um seine Höhenangst zu überwinden das 142 Meter hohe Münster ins Straßburg und näherte sich immer wieder dem Geländer, um sich seiner Höhenangst auszusetzen, bis er diese überwinden konnte.

Schlaganfall (Kleinhirn-Hirnstamminfarkt)

Zu den Warnsymptomen eines Schlaganfalles gehört auch der Schwindel. Dies äußert sich oft in einer unerwartet einsetzenden Drehschwindelattacke mit Gangunsicherheit. In diesem Fall liegt eine Durchblutungsstörung im hinteren Gehirnstromkreislauf vor. Es sind die hinteren oder unteren Bereiche des Gehirns zumindest vorübergehend geschädigt. Hierbei handelt es sich um die Strukturen des sogenannten Hirnstamms und des Kleinhirns.

Oft tritt der schlagartig einsetzende Schwindel auch noch mit anderen Beschwerden auf wie

  • einem hängenden Augenlid, Doppelbildern
  • einer Gesichtslähmung
  • einer Schluckstörung
  • einer Sprechstörung
  • einer Koordinationsstörung
  • einer Gefühlsstörung für gekreuzt und für unterschiedliche Qualitäten im Gesicht, an Armen und Beinen wie am Körperstamm (dissoziierte Empfindungsstörung)

Das bekannteste Muster eines Schlaganfalles im Hirnstamm wird Wallenberg-Syndrom genannt und ist benannt nach dem deutschen Neurologen Adolf Wallenberg (1862-1949).

Downloads & Links

Die LMU München hat einen Flyer erstellt, der die Patienten über die wichtigsten Regeln der Therapie informieren will und dabei helfen soll eigenständig zu üben. Das Übungsprogramm kann jedoch keine Behandlungsserie unter Anleitung eines spezialisierten Physiotherapeuten ersetzen:

Flyer LMU München

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